Der „deutsche“ Präsident

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Vor Kurzem hat ein Rumäne zu mir gesagt: „Jetzt, wo wir Rumänen einen deutschen Präsidenten haben, musst Du Dich doch richtig wohl fühlen hier.“ Was? Klaus Werner Johannis ist doch gar nicht Deutscher, auch, wenn es der Name vermuten lässt. Also, doch. Irgendwie schon, er ist ja Siebenbürger Sachse und damit „Rumäniendeutscher“. Als doch ein „deutscher“ Präsident? „Naja“, schüttele ich dann den Kopf. Eher ein deutscher Rumäne, ein Siebenbürger Sachse, der Präsident ist.
Um das nun zu verstehen, muss man weit in die Geschichte, um etwa 800 Jahre, zurück blicken. Damals befand sich der größte Teil Siebenbürgens unter ungarischer Herrschaft und das sich ausbreitende Reich lud Bergleute zu sich ein, um seine Grenzen im Osten gegen asiatische Nomadenstämme zu sichern, aber auch, um die Edelmetall- und Salzreichen Karpaten zu erschließen.
Diese Menschen wurden auch tatsächlich „Eingeladene“ genannt und wurden vornehmlich im südlichen Karpatenbogen – dem heutigen „Sachsenland“ – angesiedelt. Viele von ihnen kamen aus dem Rhein-Mosel-Gebiet, Italien oder aus Belgien und erhofften sich ein besseres Leben, da sie in ihrer Heimat unter den Abgabenlasten, Unterdrückung, der Überbevölkerung oder den daraus resultierenden Seuchen litten.
In Siebenbürgen mussten die Eingeladenen nicht unter diesen Umständen leben, denn sie bekamen einen Reihe von Freiheiten und Rechten zugesprochen: freie Richter- und Pfarrerwahl, persönliche Freizügigkeit, eine niedrige und unveränderbare Steuer an den König, Selbstverwaltungsrecht und damit ein eigenes, autonomes Gebiet. Hermannstadt und dessen Umland, dass sich mit der Zeit immer mehr ausdehnte, bildete das „Sachsenland“. Einer alten Erzählung nach hat sich nämlich dort einer der erste deutschen Siedler mit dem Namen Hermann niedergelassen und die Stadt begründet, während die anderen Siedler weiterzogen.
Spezifisch für die Deutschen in Rumänien ist ihr „Sächsisch“, was viele Lehnwörter aus dem Ungarischen und Rumänischen benutzt und sehr dem Luxemburgischen Dialekt ähnelt. So sprachen die Sachsen neben ihrem Sächsisch oft Deutsch, Ungarisch und Rumänisch als die drei Sprachen Siebenbürgens. Noch heute findet man viele dreisprachige Ortsschilder oder Kirchentafeln. So wird Hermannstadt auch Sibiu auf Rumänisch oder Nagyszében auf Ungarisch genannt.
Evangelisch wurden die Sachsen schon im Jahr 1545 durch den Reformator und Humanisten Johannes Honterus, der übrigens die zweite Druckerei in ganz Siebenbürgen gründete und darüber wissenschaftliche Schriften verbreitete. Auch viele Ungarn schlossen sich der Lehre Luthers an. In Klausenburg gab es übrigens den ersten ungarischen, lutherischen Pfarrer. Er war eigentlich Sachse, aber predigte später nur noch in Ungarisch und ließ sogar seinen seinen deutschen Namen magyarisieren. Aus Caspar Helth wurde Heltai Gáspár.
Kennzeichnend für das Land der Siebenbürger Sachsen sind auch ihre Kirchenburgen. Das sind Kirchenanlagen mit große Mauern oder Wällen, die das Gotteshaus umschließen. In diese konnte man sich schnell flüchten und darin manchmal bis zu einer Woche autark leben, sollte es zu einem Angriff des Ortes kommen. Nötig war dies, da es vor allem Anfang des 15.Jahrhunderts oft zu Osmanen-Einfällen gekommen ist, die manchmal ganze Ortschaften zerstörten.

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Die berühmteste Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch/Viscri

Als das mittelalterliche Ungarn Mitte des 16.Jahrhunderts auseinanderfiel, wurde Siebenbürgen zum Fürstentum mit drei Nationen: dem ungarischen Adel, dem ungarischsprachigen Volk der Szekler, die in den Ostkarpaten lebten, und den Sachsen. Vereinzelt hatten sich auch schon slawische Völker oder Walachen in Siebenbürgen angesiedelt und im späten 17.Jahrhundert kam es zu einer erneuten Ansiedlungswelle von Deutschen, aber auch Juden und Armeniern. – So konnte man schon damals von einem Land sprechen, in dem viele verschiedene Völker und Konfessionen friedlichen miteinander zusammenlebten, aber auch auf ihre eigene Identität wahrten und auch oft „nebeneinander“ lebten.

Eine interessante Anekdote ist die Entstehung des rumänischen Wortes „şmecer“, ausgesprochen wie „Schmecker“ im Deutschen. Angeblich sollen die Sachsen einer der größten Abnehmer des rumänischen Weins gewesen sein. Um für genügend Nachschub zu sorgen sind sie deshalb jeden Sommer mit einem großen, leeren Weinfass zu den Rumänen „über die Karpaten“ gereist und haben dort den besten Wein ausgesucht. Da die Sachsen aber nach den Verkostungen meist betrunken waren, konnte man sie leicht austricksen. Und so bemerkten sie den Betrug erst als sie den langen Weg in ihre Heimat nach Hermannstadt hinter sich gebracht hatten und ausgenüchtert waren: Die Rumänen hatten, das Delirium der Deutschen ausnutzend, statt des teuren, guten Weines einfach billigen, misslungenen Wein in das Fass gefüllt. Diesen Betrug hintergehend, erkoren die Sachsen einen „Schmecker“ aus, der während der gesamten Reise nüchtern bleiben musste und dessen einzige Aufgabe es war, den ausgesuchten und den ins Fass gefüllte Wein zu probieren und als den selben anzuerkennen. So sprach sich der „Schmecker“, oder in gutem Deutsch Weinverkoster, schnell bei den Rumänen herum und man erkannte, dass die Sachsen sich etwas ziemlich Kluges und Gerissenes ausgedacht hatten, was sich trotz dessen noch im Bereich des Legalen bewegte. Und so meint das Wort „şmecer“ im Rumänischen auch heute noch eine Person, die irgendwie cool und gefuchst ist und sich nicht so leicht austricksen lässt. Die Bedeutung hat sich aber heute noch weiter entwickelt und meint manchmal auch einen Ganoven oder Dieb und ist damit nun auch negativ, nichtsdestotrotz aber noch als cool terminiert.

Mit der Zeit bildeten sich Ungarn und Sachsen als die Nationen mit einer Mittelschicht und einer intellektuellen Oberschicht heraus, was zum Beispiel Rumänen, die nicht von Anfang an die gleichen Rechte genossen, verwehrt wurde, weil sich ihre Bevölkerungszahl in Siebenbürgen erst gegen Ende des 18.Jahrhunderts vergrößerte. Viele Positionen im Staatsapparat blieben den beiden Völkern deshalb auch nach der Zuschlagung Siebenbürgens an Rumänien erhalten. Noch heute herrscht deshalb bei einigen Sachsen, vor allem aber bei den Älteren, ein leichtes Herabblicken auf Rumänen und eine schnelle Pauschalisierung. „Warum gibt es denn so viele Zigeuner in Rumänien? Warum geht es dem Staat so schlecht? Weil es keine Deutschen mehr gibt“, erklärt ein in den Achtzigern geflüchteter Sachse im Film „Ein Pass nach Deutschland“.
Eine alte Sächsin hat einer Mitfreiwilligen einen Heiratstip mit auf ihren Weg gegeben: „Einen Deutschen, ja, den sollst du heiraten. Einen Ungarn auch. Aber einen Rumänen, das musst Du Dir aus dem Kopf schlagen!“
Heute leben nur noch wenige, bis gar keine Sachsen in Rumänien. In den großen bis mittleren Städten wie Hermannstadt, Mediasch oder Kronstadt gibt es zwar noch aktive und Zuwachs gewinnende deutsche Kirchengemeinden, wie auch deutsche Schulen. Doch auf den Dörfern leben oft nur noch Ältere – und davon wenige. Die Pfarrer in den Kirchen betreiben dort Abwicklung. Der Altersdurchschnitt mag wohl bei etwas 60 Jahren liegen.
Viele Sachsen sind nach dem Zweiten Weltkrieg ausgewandert, wurden deportiert, sind geflüchtet oder wurden vom sozialistischen Rumänien für einen vier- bis fünfstelligen Markbetrag an die BRD „verkauft“. Hinzu kamen später noch die Erstattung ihrer Ausbildungskosten, die der rumänische Staat von ihnen einforderte.
Bis zum Ende des Regimes sind so 226.654 Sachsen nach Deutschland gelangt und haben oft Haus, Hof und Herz in ihrer Heimat gelassen. Ähnlich erging es auch rumänischen Juden oder Ungarn, die während der Zeit des Sozialismus in „ihr“ Land zurückgeholt wurden.

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Laufen die letzten 5 Minuten der Sachsen gerade ab?

Heute leben noch 15.000 Sachsen in Siebenbürgen. Weshalb es oft nur noch Spuren sind, die man hier von diesen deutschen Siedlern, den „Eingeladenen“, entdeckt: Deutsche Grabsteine oder Innschriften an Häusern, die romantischen Kirchenburgen oder eben alte Sachsen, die vereinzelt auf ihren Dörfern leben und im Sommer von ihrer Familie besucht werden.
Doch seitdem einer dieser Sachsen – eben jener Klaus Johannis – Präsident Rumäniens ist, wird auch bei vielen Ausgewanderten der Wunsch immer lauter, wieder zurück nach Siebenbürgen, zurück in ihre alte Heimat zu kommen; zu „Rücksiedlern“ zu werden. So scheint es doch noch einen Hoffnungsschimmer in der nach der politischen Wende verloren geglaubten Geschichte der deutschen Siedler zu geben…

„Ich bin rumänischer Staatsbürger, also Rumäne. Und ich bin ethnisch Deutscher, gehöre der sehr klein gewordenen Volksgruppe der deutschstämmigen Siebenbürger Sachsen an, die in Rumänien leben. Ich fühle mich jetzt, als gewählter rumänischer Staatspräsident, sehr rumänisch. Ich habe meine ethnische Zugehörigkeit aber nie in den Hintergrund gespielt. Mein Deutschtum hat nichts mit der Bundesrepublik als Staat zu tun, sondern mit der Sprache und mit der Kultur.“
(Iohannis in „DIE WELT“)

Geboren 1959 war Johannis erst Physiklehrer am Hermannstädter Brukenthal-Lyzeum und später Leiter einer Schulaufsichtsbehörde. Er blieb auch nach der politischen Wende 1989/1990, anders als seine Familie, in seiner Heimatstadt und wurde überraschend im Jahr 2000 zum Bürgermeister der traditionsreichen Stadt gewählt. Er ist außerdem mit einer rumänischen Lehrerin verheiratet.
Johannis ist ein sehr rumänischer, siebenbürgischer Präsident. Gerade eben weil er einer Minderheit angehört, denn das definiert auch das Land Rumänien und zeichnet ganz besonders die Region Siebenbürgen aus. Er ist und bleibt trotzdem, wie er auch selbst betont, Rumäne. Und selbst wenn er Deutscher Staatsbürger wäre: Ich fühle mich hier trotzdem wohl, auch ohne einen Deutschen an der Spitze des Staates.

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Ein europakritisches Grafitti mit Johannis in Klausenburg

Einen sehr interessanten Artikel hat auch meine Freundin Betty Bohr aus Sibiu/Hermannstadt/Nagyszében dazu geschrieben. Sie arbeitet teilweise mit alten Siebenbürger Sachsen:

Willst du Gottes Werke schauen

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